Die Volatilität ist gekommen, um zu bleiben

Stephen Auth

Die Volatilität, die wir alle momentan im Markt spüren, wird vorerst bleiben. Das liegt daran, dass sich fünf Voraussetzungen verändert haben. Damit wird auch die „Große Rotation“ andauern. Stephen Auth, Chief Investment Officer Equities beim globalen Assetmanager Federated Hermes erklärt diese fünf wichtigen Veränderungen.

Seit Anfang Juli haben die Märkte eine Phase erhöhter Volatilität durchlebt. In der vergangenen Woche schien sich die Lage jedoch etwas zu beruhigen. Auch die ISM-Daten für den Dienstleistungssektor fielen besser aus als von vielen befürchtet. Dies deutet darauf hin, dass eine drastische Verlangsamung des Wirtschaftswachstums vorerst ausgeblieben ist.

Stephen Auth, CIO Equities bei Federated Hermes, wirft in diesem Kontext die Frage auf, ob man aktuell in Wachstumswerte wieder einsteigen sollte, jetzt wo der Markt derzeit 6 Prozent unter seinem Höchststand liegt und Large-Cap-Wachstumswerte um 9 Prozent gefallen sind. Dazu sagt er: „Wir sind der Ansicht, dass es derzeit keinen Anlass zur Eile gibt. Wir denken nicht, dass die letzten Wochen lediglich eine „normale August-Volatilität“ widerspiegeln, die auf die aktuelle Urlaubssaison zurückzuführen ist. Wichtige Faktoren, die das Investitionsklima der letzten zwei Jahre prägten, haben sich erheblich verändert. Entsprechend müssen Anleger ihre Strategien anpassen.“

Es hat den Anschein, dass die sogenannte „Große Rotation“ der letzten Wochen noch nicht zu Ende ist. Mit Blick auf die eigene Portfolioaufstellung sagt Auth daher: „Daher bleiben wir bei unserer insgesamt vorsichtigeren Haltung und werden unsere Aktienübergewichtung auf Small Caps, Value-Titel und Schwellenländer konzentrieren.“

Diese fünf Punkte haben sich laut Stephen Auth geändert:

1. Der Yen-Carry-Trade ist vorbei
In den letzten Jahren verfolgte die Bank of Japan eine sehr lockere Geldpolitik mit negativen Zinssätzen. Auch in anderen G-7-Staaten lagen die Zinssätze zeitweise nahe Null. Dies verringerte den Vorteil, Kredite in Yen aufzunehmen, um in Euro oder Dollar zu investieren. Im Frühjahr 2022 änderte sich dies jedoch grundlegend. Die Fed begann, die Zinssätze drastisch zu erhöhen, während die Bank of Japan an ihrem negativen Zinssatz festhielt, bis die Inflation ihr Ziel von 2 Prozent erreichte.
„Als die Bank of England und die Europäische Zentralbank folgten und ihre Zinssätze anhoben, eröffneten sich den Anlegern einmalige Chancen. Ein riesiger Markt für Staatsanleihen in einer der größten Volkswirtschaften der Welt bot Kreditzinsen nahe null, während andere Märkte Renditen von 4 Prozent bis 6 Prozent boten“, so Stephen Auth.
Das Geschäft wurde noch attraktiver, als der Yen fiel. Viele internationale Hebel-Anleger begannen, Positionen aufzubauen. Dies ermöglichte es den Yen-Schuldnern, ihre geliehenen Yen zu günstigeren Kursen zurückzuzahlen. Als die Situation sich zuspitzte, erkannten dieselben Investoren, dass sie noch höhere Renditen erzielen konnten, indem sie in Large-Cap-Wachstumsaktien investierten. Stephen Auth merkt an: „Obwohl einige Experten sagen, dass der Handel abgewickelt ist, sind wir anderer Meinung. Unserer Erfahrung nach dauert es Wochen, bis solche über längere Zeit aufgebauten Positionen vollständig abgewickelt sind – nicht nur drei Tage. “
Schnell abgebaut werden hingegen die Positionen, die am ehesten „aus dem Geld“ sind und sehr kurzfristige Fälligkeitsdaten haben. Positionen mit längeren bis mittleren Fälligkeitsdaten dürften noch im Umlauf sein. Die Abwicklung dieser Positionen wird einige Zeit in Anspruch nehmen und vermutlich Druck auf den Dollar/Yen-Kurs sowie auf Dollarwerte ausüben, die zuvor von der Hebelwirkung profitiert haben. Dazu zählen etwa Large-Cap-Wachstumsaktien und japanische Aktien im EAFE-Index.

2. Die Renditekurve ist nicht mehr invers
Ein markantes Merkmal des Investitionsklimas der letzten zwei Jahre war die stark inverse Renditekurve, bei der die kurzfristigen Zinssätze zeitweise 100 bis 150 Basispunkte über den langfristigen Zinssätzen lagen. Diese Inversion neigt sich nun dem Ende zu. Stephen Auth erwartet, dass sich in den nächsten zwei Jahren eine normalere, nach oben geneigte Kurve etabliert: „Die Fed Funds Rate wird voraussichtlich von 5,5 Prozent auf etwa 3,0 Prozent sinken, während die 10-jährigen Treasury-Renditen relativ stabil zwischen 3,75 Prozent und 4,25 Prozent bleiben dürften. Der Leitzins wird voraussichtlich auf etwa 3,0  Prozent zurückgehen, da sich die Arbeitsmärkte stabilisieren und das Inflationsziel der Fed von 2,0 Prozent bis 2,5 Prozent wahrscheinlich erreicht wird.“

Kurzfristige Zinssätze sind ebenfalls wichtig für Aktien, insbesondere für Finanzwerte, kapitalintensive Aktien und Small-Cap-Aktien, da diese Unternehmen kurzfristige Mittel zur Finanzierung ihrer Bilanzen nutzen. Der Anstieg der kurzfristigen Zinssätze von 0,25 Prozent im März 2022 auf 5,5 Prozent im Juli 2023 hatte daher erhebliche negative Auswirkungen auf die Gewinne dieser Unternehmen, insbesondere bei den Value- und Small-Cap-Indizes.
„Wenn sich die Renditekurve umkehrt – das heißt, wenn die kurzfristigen Zinssätze sinken, während die langfristigen Zinssätze stabil bleiben – dürften die gleichen Aktien, die durch die steigenden kurzfristigen Zinssätze beeinträchtigt wurden, nun profitieren. Im Gegensatz dazu werden Wachstumstitel mit langer Duration von einem stabilen langfristigen Zinssatz kaum profitieren, da sich die langfristigen Zinssätze voraussichtlich wenig ändern werden“, fasst Stephen Auth die Situation zusammen.

3. Der relative Vorteil des Gewinnwachstums von Wachstumsaktien mit hoher Marktkapitalisierung lässt nach
Nachdem Wachstumsaktien in den letzten 18 Monaten stark zugelegt haben, zeigten Large-Cap-Wachstumswerte einen zusätzlichen Vorteil: Sie wuchsen schneller als der Rest des Marktes. Im Jahr 2023 lagen die Gewinne der Large-Cap-Wachstumswerte um 9,5 Prozent über denen der Large-Cap-Value-Werte. In der ersten Hälfte des Jahres 2024 wuchs dieser Vorsprung auf 23,6 Prozent. Doch in der zweiten Jahreshälfte 2024 und bis ins Jahr 2025 wird der Unterschied im Gewinnwachstum voraussichtlich auf 4,5 Prozent schrumpfen. Diese Veränderung wird besonders die Momentum-Trader betreffen, die stark in Large-Cap-Wachstumsaktien investiert sind, oft mit Hebeln. „Wir erwarten daher, dass dies einen anhaltenden Abwärtsdruck auf diese Aktien ausüben wird“, sagt Stephen Auth.

4. Der Wahlkampf verschärft sich, und die politische Unsicherheit nimmt zu
Stephen Auth weist auf ein weiteres Problem hin, das Anleger in den letzten drei Wochen beschäftigt: die Verschiebung der Wahlprognosen. „Im Mai sahen viele Marktteilnehmer, einschließlich uns, Trump als sicheren Gewinner. Nun hat sich die Situation geändert. Präsident Biden wurde durch Vizepräsidentin Kamala Harris auf dem Wahlzettel der Demokraten ersetzt.“ Aufgrund der erheblichen Unterschiede zwischen einer republikanischen und einer demokratischen Regierung erwartet er, dass die ohnehin angeschlagene Wirtschaft in den kommenden Monaten weiter schwächeln könnte.

5. Der Arbeitsmarkt wird schwächer
„Ein wesentliches Merkmal der Post-Covid-Ära ist die auffallende Anspannung des Arbeitsmarktes auf einem fast historischen Niveau“, sagt Stephen Auth. Von Januar 2022 bis April 2024 blieb die offizielle Arbeitslosenquote in den USA (U3-Arbeitslosenquote) unter 4 Prozent und erreichte den niedrigsten Wert seit 1969. Ein weiterer Indikator für die angespannte Situation ist die Anzahl der offenen Stellen pro arbeitslosem Arbeitnehmer. Die Abschwächung des Arbeitsmarktes wird sich voraussichtlich sowohl positiv als auch negativ auf bestimmte Unternehmen auswirken. Für die Märkte könnte dies eine Zunahme der Volatilität bedeuten.

„Obwohl wir kein systemisches Risiko im Bankwesen erkennen, das sich die Schwäche des Arbeitsmarktes zu einer breiteren Rezession ausweiten könnte, würde dies für einige Zeit ein Umfeld schaffen, in dem schlechte Nachrichten schlechte Nachrichten für Aktien bedeuten – eine Situation, die wir seit langem nicht mehr erlebt haben“, fasst Stephen Auth zusammen.

Abschließend sagt Stephen Auth: „Erst in einigen Monaten werden wir wissen, ob die „Große Rotation“, die Anfang Juli begann und sich in der vergangenen Woche teilweise wieder umkehrte, auf eine drastische Veränderung der Fundamentaldaten des Marktes hinweist oder nur ein vorübergehendes Phänomen war. Wir glauben, dass Ersteres der Fall ist und empfehlen weiterhin Portfolios nach unserem ausgewogenen Modell. Die Zeit wird es zeigen.“

Newsletter vom 21. August 2024

Stephen Auth – CIO Equities
Federated Hermes

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